Zeit für die Zukunft – die Lernkurve steigt

„Zukunft“ ist heute in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit fast unvermeidbar. Die Politik hängte im Wahlkampf die Latte relativ hoch. Die neue Ampelkoalition will Zukunftsdenken signalisieren mit einem nicht leicht verständlichen Slogan „Mehr Fortschritt wagen“. Dies unter mehrfacher Nutzung des Begriffes „vorausschauend“, aber ohne explizit die Strategische Vorausschau oder Foresight hervorzugeben. Versprechungen einerseits, nur offenbar weniger hohe Erwartungen von vielen Menschen ´draußen´, und eher pessimistische Stimmung bei der Wirtschaft, bei der Foresight oder Zukunftsvorausschau allerdings an Stellenwert zu gewinnen scheint.

Die Zukunft wird Unerwartetes bringen. Also lieber keine Zeit für die längerfristige Zukunft? So offenbar die Skepsis derer, die ausschließlichen Sofortmaßnahmen erwarten. Aber genau darin liegt ja die Herausforderung. Vieles brennt akut auf den Nägeln, wurde bislang verzögert oder versäumt, und muss deshalb mit Blick auf verschiedene Optionen, Szenarien, Strategien und etwaige (Aus-)Wirkungen auf die längerfristige Zukunft verändert angegangen werden.

Eine neue Zukunfts-´Offenheit´ könnte sich abzeichnen, graduell selbst bei denen, die (zwecks ´Freiheit´) mehr zurück- als vorausschauen und beinahe den Zug der Veränderung verpassen (kein Tempolimit 130, keine Steuererhöhung etc.). Da tauchen Stichworte wie „Möglichkeitsräume“ auf, ein Vokabular das ein gewichtig auftretender liberaler Politiker aus der Zukunftsforschung oder frühen Raumplanung geborgt haben muss und das zumindest seine erhöhte Flexibilität signalisiert. Anderes Beispiel: „Komplexität“ wird heute nicht mehr nur vermieden, sondern es wird der Versuch gemacht, Zusammenhänge über die Wissenschaft hinaus verständlicher zu machen. Dazu eine neuerer Appell des Physikers und Autors Dirk Brockmann: wir benötigen „anti-disziplinäres“ Denken gegenüber Silodenken, sowie einen systemischen Perspektivwechsel von Natur und Mensch, der auf Kooperation setzt[i]

Eine neuere Auswertung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) sieht anhand der Analyse des Koalitionsvertrages ein wachsendes Interesse und benennt das wichtigste: „Foresight – Eine Fähigkeit nimmt Gestalt an“[ii] In Deutschland wurde früh mit Zukunftsvorausschau in der Sicherheitspolitik begonnen, vor allem zu nennen die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), der eine zunehmende Vernetzung von Ressorts zu verdanken ist. Das Planungsamt der Bundeswehr, Abteilung Kontinuierliche Zukunftsentwicklung konnte sein 15. Jubiläum 2021 in bester Zukunftsgerichtetheit begehen. Auf dem Radarschirm auch: aktuelle Studien (z.T. noch nicht veröffentlicht) verweisen auf wichtige Perspektivwechsel von Teilen der jungen Generation. Ein sozialer Wertewandel wird erkennbar, etwa bezogen auf die Bedeutung von Arbeit, auf Solidarität und persönliches Engagement, Verzichtsbereitschaft zugunsten von Klima und Nachhaltigkeit, veränderte Konsumwelten usw. – ein sozial-ökologisches Umdenken zeichnet sich ab, welches in Zukunft ältere Erwartungshaltungen an Gesellschaft und Wirtschaft ablöst.

Noch ein progressiver Ausblick. Dem Kulturwissenschaftler Claus Leggewie folgend, hat unsere Demokratie Auffrischungs-Bedarf um sich dem Rechtsextremismus und der Klimakatastrophe entgegenzustellen. Eine repairing democracy steht demnach an, die Reparatur einer an vielen Stellen „verschlissenen und zerborstenen“ Infrastruktur der Demokratie, leidend unter Legitimation und Repräsentativität (Leggewie). Er schlägt u.a. einen ´Climate-Caucus´ vor, fraktionsübergreifend in engem Austausch etwa mit Stiftungen, Denkfabriken, NROs sowie die echte Beteiligung ´Konsultativer Bürgerräte´. Diese wären wirklich eine Innovation und könnten Thema sein für den nächste World Future Day im Herbst 2022.[iii]

[i] Siehe Dirk Brockmann, Im Wald vor lauter Bäumen, Unsere Komplexe Welt besser verstehen, München 2021

[ii] siehe Sebastian Bollien, BAKS: Neue Bundesregierung: Was tut sich bei der Strategischen Vorausschau? 20.12.2021

[iii] Siehe Claus Leggewie, Mörderische Verantwortungslosigkeit, Reihe „55 Voices for Democracy“, Süddeutsche Zeitung 31.12.2021 /1. / 2. 1.2022, https://www.sueddeutsche.de/kultur/klimawandel-55-voices-for-democracy-claus-leggewie-1.5498840.

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